Portal Sozialbilanz Elektronik

Vom PSE zu Fairtronics

Mit dem Projekt Portal Sozialbilanz Elektronik (PSE) hatten wir einen Einstieg gestartet hin zu einem allgemein nutzbaren Werkzeug,

  • um als Elektronikproduzent die wahrscheinlichen Un-Fairness-Hotspots im eigenen Produkt zu ermitteln,
  • um als Konsument oder Einkäufer Produktalternativen bezüglich ihrer Sozialbilanz zu vergleichen oder
  • um als Interessent Details über die Elektronikproduktion entlang der Wertschöpfungskette anhand konkreter Beispiele zu erfahren.

Die Grundidee ist: Schaltplan rein -> Hotspots raus, also eine automatische Berechnung und Darstellung der Sozialbilanz eines Elektronikgeräts auf Basis spezifischer aber auch generisch verfügbarer, offener Daten zu Bauteilen und ihrer Herkunft. Flankiert soll es werden mit Vorschlägen zur Verbesserung dieser Bilanz, zum Beispiel Designalternativen oder Teilnahme an Verbesserungsprogrammen.

FairLötet hat im September 2019 mit Hilfe des Prototype Fund begonnen dieses Werkzeug zu bauen und Open Source zur Verfügung zu stellen. Daraus ist das Projekt Fairtronics entstanden. Auf der Fairtronics-Website wird das Projekt näher erklärt und kann auch ausprobiert werden. Auch auf dem 36. Chaos Communication Congress wurde das Projekt mit einem Vortrag vorgestellt. Bei Interesse an Fairtronics kann das Entwickler*innen-Team unter info@fairtronics.org erreicht werden.

PSE bezeichnet nunmehr die beendete Machbarkeitsstudie hin zu Fairtronics auf Basis der Software OpenLCA mit Schwerpunkt auf die Berechnung und zu erwartende Ergebnisse. Fairtronics startete mit einer einfacheren Berechnungsformel, besitzt im Gegensatz dazu aber Werkzeugcharakter, d.i. u.a. eine einfach zu verstehende Benutzungsoberfläche. Im folgenden stellen wir die Machbarkeitsstudie PSE ausführlich vor. Den ganzen Text gibt es auch als PDF. Zusätzlich gibt es ein 10-minütiges Video, ein Poster und ein Blog-Beitrag, die in die Projektidee einführten.


Unsere Idee

In Anbetracht der Berichte über Konfliktfinanzierung beim Rohstoffabbau, Vergiftungen in der Halbleiterproduktion oder Lohnbetrug in der Fertigung sorgen sich junge Elektronik-Projekte als auch etablierte Hersteller zunehmend um die menschen- und arbeitsrechtlichen Auswirkungen ihrer Produktion entlang der Lieferkette. Doch wie können sie fairer produzieren?

  1. Zunächst muss man sich einen Überblick verschaffen über die Einkaufs- und Lieferkette des eigenen Produkts, was in ihm enthalten ist und wo alles herkommt. Zwar kennt man die einzelnen Bestandteile, aber was dahinter steckt weiß man häufig nicht.
  2. Dann gilt es, sich über die menschen- und arbeitsrechtlichen Risiken dieser Lieferkette im Klaren zu werden. Es gibt unüberschaubar viele Berichte, aber es bleibt unklar was tatsächlich relevant für das eigene Produkt ist und wo am dringendsten Abhilfe nötig wäre.
  3. Und spätestens diese Abhilfe überfordert alle diejenigen, die sich nicht schwerpunktmäßig mit der Nachhaltigkeit in der Elektronik beschäftigen. Was kann man denn gegen diese Unfairness tun, der man in der globalisierten Welt kaum aus dem Weg gehen kann?

Dies sind kurz und knapp die drei Herausforderungen auf dem Weg zu einem faireren Produkt: 1. Inventory Analysis, 2. Impact Assessment und 3. Improvement Action. Speziell für Elektronikprodukte will das „Portal Sozialbilanz Elektronik (PSE)“ einen einfachen Einstieg entlang dieser Schritte anbieten.

Das Portal soll bei allen drei Herausforderungen Unterstützung bieten:

  • Inventory: Der Schaltplan oder die Stückliste (Bill of Material) liegen meist schon elektronisch vor. Man kann ihn einfach in das Portal einspielen. Der erste Schritt ist damit schon erledigt, denn diese Teilliste, die Abschätzung der Platinengrößen oder Kabellängen genügen schon für eine erste Analyse. Wer seine Elektronikomponenten schon genauer kennt, also beispielsweise den Hersteller oder die Artikelbezeichnung von Bauteilen, kann damit die Analyse verfeinern. Das Portal hat eine umfangreiche Liste von Bauteilen mit Daten über deren Zusammensetzung und Herkunft hinterlegt. FairLötet hat sich auf Elektronik spezialisiert, das hilft dabei.

  • Impact: Auf Basis der so modellierten Lieferkette lassen sich auf Knopfdruck die sozialen Auswirkungen berechnen. Einzeln aufgeschlüsselt nach u.a. Gesundheitsschutz, Gehalt oder auch Gewerkschaftsfreiheit ergibt sich ein Bild über die größten Risiken in der Fairness des eigenen Produkts. Wir beobachten seit Jahren die Entwicklung in der un-/fairen Elektronikproduktion, kennen die Berichte über Menschenrechtsfragen und Arbeitsschutz beim Rohstoffabbau und in der Elektronikindustrie und haben deren Ergebnisse für die Risikobewertung in das Portal einfließen lassen.
  • Improvement: Die „Hotspots der Unfairness“ sollen kleiner werden, so der Wunsch. Man kann das durch verschiedene Maßnahmen erreichen, z.B. Austausch eines Bauteils oder eines Lieferanten, Teilnahme an einer Nachhaltigkeitsinitiative der Elektronikbranche, Unterstützung der Zivilgesellschaft oder auch Wiedergutmachungen. Wir können auf erfolgreiche Initiativen verweisen und Kontakte zu verschiedenen Akteuren im Bereich faire Elektronik vermitteln, um eine langfristige Verbesserung zu erzielen.

Als Einstieg hilft PSE, erste Hürden der Betrachtung sozialer Nachhaltigkeit kostengünstig zu überwinden und einen Bericht über die unternehmerische Sorgfalt entlang der Lieferkette zu erstellen. Wir wollen eine für jeden zugängliche Webanwendung (Portal) erstellen, die die Materialliste aufnimmt, dabei zusätzlich die Möglichkeit der Eingabe detaillierterer Daten zur Lieferkette bietet, und auf Knopfdruck die sozialen Hotspots auflistet und graphisch aufbereitet, ergänzt um Hinweise zur Verbesserung der Situation.

Die Methode

Die Methode, die wir dafür einsetzen wollen, orientiert sich am Social Life Cycle Assessment (S-LCA). Das klassische Umwelt-LCA ist im deutschprachigen Raum auch als Ökobilanz bekannt. Es hilft für die Herstellung, das Nutzen und Entsorgen eines Produkts oder einer Dienstleistung z.B. die Menge des erzeugten Treibhausgases CO2 in Kilogramm zu ermitteln. Ganz ähnlich berechnet das S-LCA eine Sozialbilanz, z.B. die für die Herstellung eines Produkts eingesetzte prekäre Beschäftigung in Arbeitsstunden.

Bei PSE wollen wir die Bilanzierung allerdings einschränken:

  • Es wird nicht die gesamte Lieferkette oder gar der gesamte Lebenszyklus eines Produkts betrachtet, sondern nur der Rohstoffabbau.
  • Es werden nur die Sozialbelange der Arbeiter betrachtet, nicht anderer betroffener Anspruchsgruppen wie die lokale Bevölkerung, der Staat oder die zukünftige Generation.
  • Und wir konzentrieren uns auf elektronische und elektromechanische Komponenten.

Für ein reines LCA gibt es schon etablierte Software, die auf Basis des Inventory den Impact berechnen kann. Unser Portal ergänzt Daten zur Elektronik, zusätzliche Funktionalität und eine angemessenere Benutzerführung.

Eine Studie

Wir haben mit Hilfe der allgemein nutzbaren, graphischen Open-Source LCA-Software OpenLCA die Machbarkeit einer Hotspotberechnung anhand der Teileliste der Computermaus von Nager IT erprobt. Im Folgenden stellen wir die Studie vor, um zu zeigen, was das Portal am Ende leisten kann. Am Ende dieses White Papers gibt es eine kleine Anleitung, wie man es am eigenen Computer nachvollziehen kann.

Begriffe

Ein Flow ist ein Produkt, sei es das zu analysierende Gerät, eines seiner Bauteile, irgendein Zwischenprodukt oder einer der Rohstoffe aus denen alles entsteht.

Ein Process ist ein Schritt in einer Produktion. Er wandelt eine Menge eingehender Flows (Input) in einen oder mehrere ausgehende Flows (Output) um. In einem Prozess werden also mehrere Bauteile oder Rohstoffe zu einem neuen Bauteil oder Gerät kombiniert. Der Output des einen Prozesses kann der Input eines anderen sein. Derlei verkettete Prozesse bilden das Product system eines Produkts, letztlich also die Lieferkette.

Es gibt zwei Arten von Flows: Zum einen die Product flows , von denen wir bislang sprachen. Sie fließen zwischen Prozessen. Zum anderen die Elementary flows , die aus der Umwelt oder Gesellschaft entnehmen (dann Ressource genannt) oder abgeben (dann Emission genannt). Sie fließen nicht zwischen zwei Prozessen und stehen außerhalb des Produktionssystems.

Eine Öko- oder Sozialbilanz eines Produkts ist letztlich eine Bilanzierung der Elementarflüsse eines Produktionssystems, das Aufsummieren der ausgehenden Elementarflüsse aller Prozesse innerhalb der Lieferkette eines Geräts. Das machen wir an unserem Beispiel nun konkret.

Inventory

Nager-IT hat das Design und die Lieferkette ihrer Computermaus veröffentlicht. Das macht sie ideal geeignet für unser Beispiel. Wir haben für die Machbarkeitsstudie die Lieferkette stark vereinfacht und nicht alle Zwischenschritte betrachtet: Die Maus besteht in unserem Modell aus einer Reihe von Elektronikkomponenten und diese wiederum aus einer Reihe von Rohstoffen. Rohstoffe wiederum kommen entweder aus Recyclingquellen oder aus dem Bergbau verschiedener Länder, je nach Anteil der weltweiten Minenproduktion. Dort wird zwischen Kleinbergbau (ASM = artisanal and small scale mining) vom industriellen Bergbau (LSM = large scale mining) unterschieden, weil die sozialen Risiken in beiden verschiedenen sind. Wir betrachten also die Herstellung der Bauteile gar nicht, nur die Rohstoffförderung, und das auch nur für wenige Metalle, nämlich Aluminium, Eisen, Gold, Kupfer, Nickel, Palladium, Silber und Zinn. Dies sind wohlgemerkt Einschränkungen der Machbarkeitsstudie, nicht von PSE an sich.

Das folgende Bild zeigt einen kleinen Teil der im Prototyp modellierten Lieferkette der Maus.

Das Endgerät Maus, die darin enthaltenen Elektrolytkondensatoren oder das Kupfer darin sind alles als Produktfluss modelliert. Als Elementarfluss haben wir das Recyclingmaterial und den Boden oder die Erde, aus denen die Rohstoffe gewonnen werden, modelliert. Wir betrachten beides also als gegeben.

Das grundlegende Modell des Inventories sind wie folgt aus:

Wir haben das Modell mit uns einfach verfügbaren Daten gefüllt, siehe dazu auch das Kapitel zu den Quellen ganz am Ende des Textes.

Damit gehen wir schon in die erste Analyse: Welche Rohstoffe sind in der Maus, wieviel in der Summe und wo kommen die her? Im folgenden Bild sieht man, wie sich gewichtsmäßig die 13,56g der acht modellierten Rohstoffe auf die Bauteile der Maus verteilen. Kupfer ist ein wesentlicher Bestandteil, vor allem im USB-Kabel, welches mehr als die Hälfte des ganzen Geräts ausmacht. Auch die Leiterplatte ist recht metallhaltig. Im Elko steckt vor allem Aluminium, gewichtsmäßig ist das aber nur noch ein kleiner Anteil.

Das nächste Bild zeigt die Herkunft der Metalle. Aus Chile kommen alleine 3,6 g des Kupfers und auch ein bisschen Silber. Als nächstes folgt „Global“, was eine wegen fehlender Daten unbekannte Herkunft anzeigt. Auf der Weltkarte sieht man den Hotspot bei Chile deutlich.

Die nun folgende Tabelle ist etwas komplizierter zu lesen. Wir betrachten nur die Zeilen, die der Kategorie „Raw materials“ zugeordnet sind. Sie sind nach Gewicht sortiert. Die Liste zeigt die Inputs zu Prozessen innerhalb unseres Modells, die nicht aus anderen Prozessen entstehen. Es zeigt also die noch nicht modellierten Produkte und die Elementarflüsse. Es handelt sich dabei vor allem um Plastik und Chemikalien, die offensichtlich eine wichtige Rolle spielen in der Elektronik. Da wir Kupfer als Prozess modelliert haben taucht Kupfer als Elementarfluss „Copper content in ground“ auf. Ganz unten sehen wir mit Zink das erste noch nicht genauer modellierte Metall.

Zum Schluss noch die wahrscheinliche Verteilung von Primär- zu Sekundärquellen: Fast ein Drittel der modellierten Metalle stammen vermutlich aus dem Recycling, ohne dass man eine Rohstoffquelle explizit als solche vorgesehen hätte.
Zu den Ergebnissen sind noch ein paar wichtige Dinge zu sagen:

  • Dadurch, dass bislang so wenige Rohstoffe modelliert wurden, bekommen das Kupfer und das USB-Kabel eine unverhältnismäßig hohe Bedeutung.
  • Wir haben die Bauteile generisch modelliert. Zum Beispiel haben wir nicht das vom Hersteller Ningbo Broad produzierte Kabel der Nager-IT-Maus analysiert, sondern ein durchschnittliches Datenkabel passender Dicke und Länge. Auch ist nicht der HS10 fair Lötdraht mit seinem hohen Recyclinganteil dargestellt, sondern ein konventionelles Lot mit ähnlicher Zusammensetzung. Unser Prototyp beschreibt also weniger die Nager-IT-Maus, sondern eine durchschnittlich produzierte Maus mit gleichem Bauplan.
  • Wir haben alle elektronischen und elektromechanischen Bauteile der Maus modelliert, nicht aber z.B. das Gehäuse, die Schrauben oder gar die Verpackung in der sie versendet wird.
  • Die Chemikalien sind nur zum Teil in dem Produkt selbst enthalten, sondern werden vor allem zur Produktion der Bauteile benötigt. Es sind nicht alle Hilfsstoffe erfasst worden. Auch fehlt außer beim IC eine Betrachtung des Ausschusses und Abfalls während der Produktion.

Impact

Das war bislang das technische Inventory. Was uns aber interessiert sind die arbeits- und menschenrechtlichen Auswirkungen der Produktion eines Elektronikprodukts. Dazu müssen wir unser Modell ergänzen:

  • Impacts entstehen während der Arbeitszeit. Es hilft uns dazu also nicht zu wissen, wie viel Kilogramm Kupfer in einem Produkt sind, sondern wie viele Stunden dafür gearbeitet werden musste. Wir haben eine Umrechnungsformel für den Rohstoffabbau entwickelt. Sie hängt ab von dem Abbauland, der Extraktionskomplexität des Rohstoffs und der Unterscheidung zwischen dem arbeitsintensivem ASM und dem maschinenunterstützten LSM. So dauert die Gewinnung von 1g Gold im Kleinbergbau Kongos mehr als hundertmal länger als von 1g Aluminium im industriellen Abbau Australiens. Hier der Umrechnungsweg vom Gerät zur Arbeitszeit an einem konkreten Beispielpfad durch die Lieferkette, mit gerundeten Werten:
  • Wir haben den Elementarfluss „Labour“ ergänzt, also Arbeitskraft, die der Gesellschaft entnommen wird. Der Output während der Produktion von Arbeit enthält neue Elementarflüsse, die die entstehenden sozialen Risiken darstellen. Siehe beispielhaft das folgende Bild zum Prozess „Working in Chile“. Es wird 1h elementare Arbeitskraft Labour in 1h Work verwandelt. Dabei entstehen parallel mehrere soziale Risiken von jeweils ebenfalls 1h Dauer, aber verschiedener Risikohöhe: Es gibt mittlere Risiken für gesundheitsgefährdende Arbeit, kein hohes Risiko, wohl aber geringes Risiko für Gewerkschaftsunfreiheit und unbekanntes Risiko für übermäßige Arbeitszeiten. (Die Risikoeinschätzung basiert auf der Arbeit des Tracy-Projektes, siehe Kapitel „Quellen“.) Dabei gilt ein Risiko in einem Land als hoch, wenn die Wahrscheinlichkeit im Ländervergleich im oberen Viertel liegt. 1h hohes Risiko von Kinderarbeit heißt also nicht, dass 1h Kinderarbeit beteiligt ist, sondern nur 1h hohen Risikos, dass es passiert.
  • Im Prototyp werden die folgenden Risiken betrachtet: Kinderarbeit (Child Labour), Gleichberechtigung (Equal Opportunity), Faire Gehälter (Fair Salary), Zwangsarbeit (Forced Labour), Versammlungsfreiheit (Freedom of Association), Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (Health & Safety), Soziale Sicherheit (Social Security) und Arbeitszeit (Working Hours). Sie sind alle nur länderspezifisch, d.h. es wird noch nicht zwischen ASM und LSM oder zwischen den verschiedenen Rohstoffen unterschieden.
  • Am Ende wird alles mit der Anzahl der jeweiligen Arbeitsstunden multipliziert.

Wie sehen also die sozialen Auswirkungen der Computermaus aus? Wo zum Beispiel ist das Risiko für Zwangsarbeit innerhalb der Lieferkette der Maus am größten? Die Übersicht der Länder mit der Wirkkategorie „Forced Labour“ im folgenden Bild zeigen, dass das größte Risiko für Zwangsarbeit in D.R. Kongo besteht, dort umgerechnet insgesamt 42 mittlere Risikosekunden (= 0.01181 h) für eine einzelne Maus.

Im nächsten Bild erkennt man, wenn man sich auf die Zeilen mit der Einheit „medium risk hours“ konzentriert: Am Anfang steht unter „Risk“ die Summe aller acht Impacts. Hier sticht ebenfalls der Kongo hervor, gefolgt von Sambia, China und Chile. Das größte einzelne Risiko ist „Forced Labour“. Als nächstes folgt schon die Summe der unbekannten Risiken, was ein deutliches Zeichen für fehlende Daten ist. Aufgeklappt ist auch die Analyse der elementaren Arbeitskraft „Labour“ zu sehen: Arbeitskraft kommt am meisten aus Chile, dicht gefolgt von Kongo. Angezeigt werden hier übrigens nur alle Länder mit > 1% des Gesamtrisikos.

Die folgende Übersicht bestätigt was wir vorher schon sahen: Kupfer trägt am meisten zum Gesamtrisiko bei. Aus Chile kam das meiste Kupfer, aus dem Kongo aber die meisten sozialen Risiken wegen des Kupferabbaus. Das liegt auch am hohen, arbeitsintensiven Anteil an Kleinbergbau, der höhere Risiken birgt. Insgesamt beinhaltet das Kabel die Hälfte der Risiken.

Improvement

Kupfer, Kongo, Kabel und Knechtschaft, das sind die Hotspots. Verbesserungen bringen dort also am meisten. Das wollten wir herausfinden. Was kann man aber tun?

  • Kupfer ist (unter den modellierten) das mit Abstand häufigste Metall in der Maus, daher sollte man sich zuerst hierauf konzentrieren. Eine besonders fair zu nennende Kupferbezugsquelle ist uns leider nicht bekannt. Kupfer ist sehr gut recycelbar, was mit über 30% Sekundäranteil in das Modell schon eingegangen ist. Man könnte als Strategie den tatsächlichen Recyclinganteil im Produkt auf höherem Niveau sicherstellen, was allerdings enge Zusammenarbeit mit dem Kabel- oder Leiterplattenhersteller erfordert. Alternativ kann man sich bei The Copper Mark engagieren oder sich bei der Copper Alliance (bzw. dem Deutschen Kupferinstitut) für eine faire Kupferlieferkette einsetzen.
  • Kongo, d.i. die Demokratische Republik Kongo, nicht zu verwechseln mit der Republik Kongo, ist seit langem im Fokus von Menschenrechtsgruppen, Gesetzgebern und der Industrie als einer der Hotspots im unfairen Rohstoffabbau. Das bezieht sich vor allem auf die so genannten Konfliktmineralien, zu denen nach US- und EU-Definition z.B. das Zinn gehört, nicht aber Kupfer. Das Pochen auf einen konfliktfreien Bezug von Zinn aus Kongo bei den Teilelieferanten wäre der erste Schritt. Die Unterstützung des Lobbyings einiger NGOs, auch Kupfer und Kobalt in die Reihe der Konfliktmineralien gesetzlich aufzunehmen, ein zweiter. Was Kupfer aus dem Kongo anbelangt: Der Anteil an Kleinbergbau ist eher klein, und es gibt Hinweise, dass der industrielle Kupferbergbau in der Provinz Katanga nicht nur das Grundwasser verschmutzt, sondern auch in die Taschen der korrupten Politiker spielt. Den Bezug von Kupfer aus dem Kongo zu vermeiden wäre daher eine Option, könnte aber auch auf Kosten der Kleinschürfer gehen. Hier müssten zudem die Zulieferer offenlegen, woher sie ihre Rohstoffe beziehen, was man als Teil der Vertragsbeziehung etablieren könnte.
  • Kabel: Das Kabel der Maus ist mit 1,30m zwar nicht ungewöhnlich lang, aber vielleicht findet man eine Alternative mit weniger Material. So würde exemplarisch eine Verkürzung auf 100 cm zwar den Benutzungskomfort senken, die mittleren Risikostunden aber ebenfalls, und zwar um gut 10% wie nachfolgende Grafik zeigt. Ein anderer interessanter Gedanke: Ist vielleicht sogar eine Funkmaus letztlich die bessere Wahl?

  • Knechtschaft, also Zwangsarbeit oder Formen moderner Sklaverei wie Schuldknechtschaft: Es gibt einige Initiativen, denen man sich anschließen kann. Aktiv sind vor allem Walk Free Foundation und Know The Chain. Konkret für den Kongo gibt es auch die Arbeit von Free The Slaves. Diese Organisationen sorgen sowohl für politische Einflussnahme als auch für Hilfe vor Ort. Sie zu unterstützen wäre eine Maßnahme, die vor allem Firmen in den Industrieländern am Ende der Lieferkette leisten können. Relevant ist hier auch der Gesetzgeber im globalen Norden: So kennt zwar England mit dem „UK Modern Slavery Act“ eine Berichtspflicht über die Aktivitäten von Firmen zur Vermeidung von Zwangsarbeit in der Lieferkette, eine Übernahme etwa in eine EU-Verordnung steht aber aktuell nicht an. An dieser Stelle auf den Gesetzgeber einzuwirken wäre also eine weitere Maßnahme, idealerweise in einem Konsortium der Elektronikindustrie.

Zur Erinnerung: Dies ist nur eine Machbarkeitsstudie mit vielen Unbekannten, großen Lücken und vereinfachenden Annahmen. Es wurde auch nicht die Nager-IT-Maus untersucht, sondern einige Teile einer baugleichen, konventionell hergestellten Computermaus. Daher sind die Tipps nur exemplarisch zu verstehen und keine Empfehlung für Nager-IT.

Quellen

Unternehmerische Sorgfaltspflicht entlang der Lieferkette hat auf UN-Ebene unter dem Begriff „Due Diligence“ Eingang gefunden in die Diskussion über Wirtschaft und Menschenrechten. Die Verantwortung verbleibt bei den Staaten, in denen produziert wird, dennoch besteht eine Pflicht der Unternehmen, menschenrechtliche Auswirkungen ihres Tuns zu analysieren und darauf zu reagieren. Dies ist allerdings allenfalls als Berichtspflicht in Gesetze einzelner Staaten verankert worden, in der EU etwa im Rahmen der sog. CSR-Berichtspflicht zu nicht-finanziellen Informationen und der Konfliktmineralienverordnung. Es gibt eine große Anzahl von Leitfäden, denen Unternehmen folgen können, die alle grob der Vorgabe der UN folgen: Zieldefinition und Verankerung im Unternehmen, Analyse der Lieferkette, Analyse der Risiken entlang der Lieferkette, Definieren von Verbesserungsmaßnahmen, Kontrolle und Bericht. Auf diesem Pfad unterstützt das Portal Sozialbilanz Elektronik bei den ersten Schritten.

Life Cycle Assessment (LCA) ist ein etabliertes Verfahren, wenn es um Umweltbelange geht. Immer mehr Umweltsiegel, Produktdesignentscheidungen und politische Maßgaben basieren auf Ökobilanzen. Es gibt LCA-Studien auch für elektronische Produkte, hier zwei Studien zu Smartphones:

Während das LCA für Umweltbelange ISO-genormt ist, steckt das Social Life Cycle Assessment SLCA noch in den Kinderschuhen. Es gibt ein oft referenziertes aber umfangreiches Rahmenwerk dazu: Catherine Benoît (ed.): Guidelines for Social Life Cycle Assessment of Products, UNEP 2009. Geeigneter sind Überblicksartikel, etwa die in Sara Serenella et.al.: Social Life Cycle Assessment, EU 2015. Es gibt auch schon erste SLCAs zu Elektronikprodukten, siehe z.B. Andreas Ciroth, Juliane Franze: LCA of an Ecolabeled Notebook, GreenDelta 2011. Ansonsten verstecken sich die Fortschritte in nicht-freien wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Es gibt ein paar Versuche, ein Life Cycle Assessment soweit zu vereinfachen und offen (d.h. ohne einen Beratungsvertrag einzugehen) anzubieten, dass man als Laie einen einfachen Zugang bekommt. Das sicher relevanteste Projekt ist LCA-to-go des Fraunhofer IZM, vor allem weil es einen Schwerpunkt bei der Elektronik hat. Ein weiteres ist Makersite, ein aktuelleres Projekt mit teilweise offenen Datenbestand und einem Schwerpunkt auf Kollaboration. Im Bereich des Social-LCA hatte die Social Hotspot Database mal eine sehr vereinfachte Version als „Web Portal“ offen nutzbar.

OpenLCA von dem Berliner Beratungsunternehmen GreenDelta ist eines der wenigen allgemeinen und frei verfügbaren (Open-Source) LCA-Werkzeuge und vielleicht das einzige von denen, das noch regelmäßig gepflegt und erweitert wird.

Die „teil-faire“ Computermaus von Nager-IT ist ein Pionierprojekt der fairen Elektronik. Das Projekt besticht vor allem durch Transparenz. Für den Prototyp wurden die Informationen aus der Lieferkette, dem Bauplan und einer realen Nager-IT-Maus herangezogen.

Die Zusammensetzung der Elektronikkomponenten wurde der LCA-Datenbank ecoinvent entnommen. Ecoinvent enthält eine Reihe von Flüssen und Prozessen, unter anderem zu einigen elektronischen Bauteilen. Die Version 2.2 ist in Form von PDF-Dokumenten frei, die aktuelle Version 3.x ist kostenpflichtig. Für die Machbarkeitsstudie wurde die IC-Größenberechnung, die Kabelmodellierung und die Zusammensetzung des Lots angepasst, zudem wurden nicht alle Inputs der Prozesse übernommen. Hier sehen wir als Beispiel die ecoinvent Daten für einen Keramikkondensator in SMD-Form:

Und dies ist die Umsetzung als Prozess in unserer Studie:

Das Gewicht eines Kerko von 0,086 g ist im Produktfluss „Ceramic capacitor (smd)“ hinterlegt:

Für den prozentualen Anteil an Recyclingmaterial im Vergleich zu „frischem“ Primärmaterial für die einzelnen Metalle wurden die global definierten Werte übernommen aus T.E. Graedel et.al.: Recycling Rates of Metals, UNEP 2011.

Für die Herkunft der Metalle aus den Abbauländern wurden die Mineral Commodity Summaries des U.S. Geological Survey herangezogen und zwar jeweils die „World Mine Production“ der Länder.

Die prozentuale Verteilung von ASM zu LSM basiert auf dem leider schon recht alten Buch „Small-Scale Mining: A Review of the Issues“ von Richard Noetstaller. Dort fehlende Angaben zu Länder und Rohstoffen wurden von uns aufgrund von Ähnlichkeiten zu vorhandenen Daten geschätzt.

Die Umrechnungsformel von Rohstoffgewicht auf Arbeitsstunden basiert derzeit leider nur auf einem einzigen Datenpunkt: In Tsurukawa/Prakash/Manhart: Social impacts of artisanal cobalt mining in Katanga, Democratic Republic of Congo, Öko-Institut 2011 wird vorgerechnet, dass der Abbau von 1 kg Kobalt im Kleinbergbau des Kongo 7,4 Arbeitsstunden benötigt. Der gleiche Wert wurde für Kupfer angenommen, welches in den gleichen Regionen des Kongo abgebaut wird. Im Vergleich zu den eher niedrigen Standards im Kongo wurden die Faktoren für andere Herkunftsländer aufgrund von Ähnlichkeiten geschätzt. Zudem wurde angenommen, dass der Abbau anderer Rohstoffe einen höheren Aufwand benötigt, Gold zum Beispiel einen zweieinhalbfachen. Drittens wurde

angenommen, dass im ASM für die gleiche Menge zehnmal so viel gearbeitet werden muss wie im LSM. Es bedarf noch weiterer Recherche um die Datenbasis zu verbessern.

Für die Sozialkriterien und deren Risikobewertung in den einzelnen Ländern wurden die Ergebnisse aus dem befreundeten Projekt Tracy des Karlsruhe Institut of Technology übernommen. In dem „Working Paper: Computer Mouse S-LCA Study“ von Andreas Fritsch und Stefanie Betz werden die Indikatoren und deren Literaturquellen beschrieben, die wir hier 1:1 übernommen und unseren Risikostufen zugeordnet haben. Ihr Projekt unterscheidet sich von unserem insofern, dass dort keine Berechnung der Risiken entlang der Lieferkette stattfindet, sondern bislang nur eine Einfärbung der grafischen Lieferkette auf Basis der Risiken in den Herstellungsländern der Komponenten.

Die Idee der Normierung der Sozialrisiken auf mittlere Risikostunden haben wir der Modellierung in der umfangreichen SLCA-Datenbasis PSILCA von GreenDelta entnommen. Dort gibt es aber weitere Risikostufen. Ähnlich wurde bei der Social Hotspot Database vorgegangen.

Mitmachen

Wer sich das ganze am eigenen Rechner anschauen möchte sollte wie folgt vorgehen:

  1. OpenLCA herunterladen von http://www.openlca.org und installieren
  2. Die PSE Datenbasis herunterladen
  3. Diese Datenbasis mittels „Restore database“ in OpenLCA einlesen
  4. Dort das Product System „Nager-IT Mouse non-specific“ öffnen
  5. Unter Reiter „Model Graph“ per „Build supply chain, Complete“ die Lieferkette generieren
  6. Unter „General information“ auf „Calculate“ klicken mit folgenden Dialogeinstellungen:

Bei Fragen einfach an post@fairloetet.de schreiben.