Ist HS10 FAIR wirklich fair?

Der Kaffeeröster Tschedu bietet eine neue, nun auch faire Kaffeemischung an. „Wir mischen Bohnen aus verschiedenen Restbeständen, die ansonsten weggeworfen worden wären“, berichtet der Produktmanager. Der Kauf der Kaffeesorte „Feine Bohne FAIR“ vermeide dadurch Kinderarbeit bei der Kaffeeernte und sei also insgesamt „ausbeutungsfrei“.

Es klingt ungewöhnlich, ein Produkt als fair zu bezeichnen, welches aus wiederverwerteten, aufbereiteten Rohstoffen besteht, deren ursprüngliche Quelle überdies unbekannt ist. Beim Lötdraht HS10 FAIR ist aber genau das der Fall. In diesem Blog haben wir zwei Meinungen dazu aus dem Verein zusammengestellt.

HS10 FAIR, vorrätig in einem Hamburger Elektromarkt
Contra

Das Gründungsprojekt des Vereins FairLötet war es, einen fair produzierten Lötdraht anzubieten, woraus auch sein Name entstand. Zwar wurde mit der Firma Stannol ein Industriepartner gefunden, aber leider keine irgendwie fair zu nennende und gleichzeitig zuverlässige Quelle für das Zinn, aus dem Lötdraht größtenteils besteht. Deshalb wich unser Team auf aufbereitetes Altlot und Recyclingzinn aus und hatte somit immerhin ein grünes Produkt.

Es deshalb aber fair, weil ausbeutungsfrei zu nennen, war meiner Meinung nach nicht richtig. Als fair kann doch nur etwas bezeichnet werden, was wenigstens ein bisschen Berührung hat mit denen, die ansonsten unfair behandelt werden, oder nicht? Etwas, was deren Situation nachhaltig verbessert, auf jeden Fall aber mehr verbessert als konventionelle Produkte. Da macht es meines Erachtens auch keinen Unterschied, dass Teile der Einnahmen gespendet werden.  Wenn allgemein unter fair etwas anderes verstanden wird, sollte man ein Produkt meiner Meinung nach auch nicht so nennen.

Das Gründungsprojekt ist beendet. FairLötet profitiert noch von den Verkäufen, ist inzwischen aber ein Verein, der allgemein zum Thema Faire Elektronik arbeitet und dabei insbesondere Hersteller von Elektronikprodukten als Ansprechpartner sieht. Deshalb geht der Vereinsname trotzdem in Ordnung.

Sebastian Jekutsch

Pro

Über die Definition von „Fairness“ haben wir im Verein oft und ausgiebig diskutiert, auch gleich zu Beginn des Lötdraht-Projekts war dies ein wichtiger Punkt, welchen wir gemeinsam mit Stannol fixiert haben. Wir hatten uns damals darauf geeinigt, dass die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden sollen – wohl wissend, dass dies eine Minimaldefinition ist. Das HS10 FAIR entspricht aber dieser Definition in den Punkten, auf welche wir bzw. Stannol Einfluss nehmen konnten (insbesondere das Flussmittel ist ausgenommen).

Warum haben wir uns damals kein ambitionierteres Ziel gesetzt? HS10 FAIR war immer als Pilotprojekt gedacht. Die soziale Nachhaltigkeit spielte beim Lötzinn bis dahin keine Rolle, und dies wollten wir ändern. Dafür war es aus unserer Sicht notwendig, ein erreichbares Ziel zu setzen und möglichst schnell zu einem ersten Produkt zu kommen. Dieses sollte dann die Inspiration für weitere soziale Verbesserungen liefern und gleichzeitig im Handel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Tatsächlich hat Stannol diese Idee (ohne Beteiligung von FairLötet) weiterentwickelt und bietet nun die FAIRTIN-Produktreihe an. Diese Entwicklung hätte ohne die positiven Erfahrungen mit HS10 FAIR vermutlich nicht stattgefunden.

Ich finde es wichtig, sich bewusst zu machen, dass der Rohstoffsektor bezüglich Nachhaltigkeit auf einem ganz anderen Stand ist, als dies beispielsweise bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Fall ist. Zertifizierungen, welche den „fairen“ Abbau eines Metalls bescheinigen, gibt es nicht, geschweige denn Minen, welche solchen Zertifizierungen entsprechen (die einzige Ausnahme ist Gold, wo es die Fairtrade– und Fairmined-Zertifizierungen gibt). All dies muss erst etabliert werden, was im kapitalintensiven Rohstoffsektor ein monumentales Henne-Ei-Problem darstellt. Denn welches Unternehmen würde sich schon für viel Geld zertifizieren lassen, wenn die Nachfrage, zumal dann zum höheren Preis, völlig unklar ist? Die Existenz von Abnehmern, welche nach Fairness fragen, gibt vielversprechenden Standards wie IRMA wichtigen Rückenwind.

All diese Überlegungen auf die Produktbezeichnung „FAIR“ zu projizieren, greift natürlich viel zu kurz. Eine Bezeichnung, welche den Recycling-Aspekt des Produkts hervorhebt, wäre differenzierter. Aber als Pilot kann das Projekt m. E. nur fungieren, wenn man die Intention erkennen kann, die dahinter steckt – deshalb finde ich die Produktbezeichnung insgesamt vertretbar.

Sebastian Beschke

Fair, FairLötet, HS10 FAIR

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