Das von uns mitkonzipierte HS10 Fair, ein Lötdraht aus Sekundärmaterial, ist bleifrei. Wir sind damit vor allem in der Bastler-, Reparatur- und Makerszene bekannt, aber oft bekommen wir zu hören: „Das nehmen wir lieber nicht, bleihaltiges Lot ist viel einfacher zu verarbeiten, insbesondere für Anfänger sei das aber wichtig.“ Es stimmt, mit Blei wären die Löttemperaturen geringer, würde das Lot schöner um die Bauteile fließen und wären die Lötstellen glänzender. Warum haben wir uns dennoch für ein bleifreies Lot entschieden?
Einschränkung des Einsatzbereichs
In der Diskussion über Blei im Lot muss man zunächst einmal feststellen: Es ist darin gemäß der EU-Richtlinie RoHS („Restriction of Hazardous Substances„) schlicht verboten. Allerdings gibt zahlreiche Ausnahmen, sowohl in Produktgruppen, in der Anwendung als auch dem Nutzerkreis. Demnach ist bleihaltiges Lot im Hobbybereich weiterhin erlaubt, genauso wie in der (auch industriellen) Reparatur, wenn es technisch-physikalisch nötig ist. Damit hätte Blei den Einsatzbereich des Lotes eingeschränkt und hätte nicht in der Fertigung von Computermäusen eingesetzt werden können.
Schutz der Gesundheit
Dieses Gesetz hat natürlich auch einen Hintergrund: Elektronik ist Sondermüll, dessen korrektes Einsammeln in Deutschland nicht einmal zur Hälfte funktioniert, trotz gesetzlicher Maßnahmen. Der Rest landet im Haushaltsmüll, auf einer Deponie oder wird illegal exportiert. Das sind unsachgemäße Entsorgungen, bei denen die in ihm steckenden Flammschutzmittel und Schwermetalle unkontrolliert freigesetzt werden. Und die wirken toxisch, weswegen sie seit 2002 in Elektronikgeräten verboten sind.
Blei ist eines dieser Schwermetalle. Tödlich ist es zwar nur in großen Mengen, es kann aber in regelmäßig aufgenommenen kleinen Mengen chronisch wirken. Essen und Trinken sollte man daher fernhalten vom offenen Löten mit Blei. Händewaschen nach dem Berühren bleihaltiger Stellen wird empfohlen und wer im Eifer des Gefechts bleihaltige Lotreste und -partikel (z.B. bei Benutzung einer Entlötpumpe) durch die Werkstatt fliegen lässt, gefährdet sich und andere (so wie es im übrigen Hobbyjäger und -angler zu tun scheinen und es noch in den Achtzigerjahren jeder Autofahrer tat).
All das war unserer Meinung nach nicht in Einklang zu bringen mit einem nachhaltigen Produkt.
Schwierige Beschaffung eines passenden Altlots
HS10 Fair besteht aus wiederaufbereitetem Altlot, zu etwa gleichem Teil veredelt mit reinem Zinn aus dem Recycling. Die gewählte Lösung machte ein bleihaltiges Produkt nur unter Umständen möglich, denn bleihaltiges Altlot in diesen Mengen gibt es wegen RoHS nur in den schon erwähnten Ausnahmefällen. Zudem hätte zur Veredlung reines Zinns nicht genügt, was unser Projekt verkompliziert hätte.
Zu bedenkende Risiken in der Lieferkette
HS10 Fair ist ein Sn99.3Cu0.7 Lot, besteht also vor allem aus Zinn (Sn) und wenig Kupfer (Cu), hinzu kommt das Flussmittel. Ein Bleilot ist aber in der Regel in der Größenordnung Sn60Pb40, also etwa 40% Blei, kurz: beachtenswert viel. Wer also ein bleihaltiges Lot möchte und gleichzeitig fair sein möchte, muss sich fragen: Wo kommt das Blei her?
Bei Rohstoffen gibt es erstmal grob zwei Quellen: Primärmaterial, also „frisch“ aus dem Bergbau, oder Sekundärmaterial, d.h. aus dem Recycling. Letzteres wäre im Projekt sicher auch für Blei eingesetzt worden. Bleirecycling ist wie Zinnrecycling sehr gut möglich und findet z.B. in Deutschland statt. Hauptquelle sind bleihaltige Autobatterien, für die es sogar ein Pfandsystem gibt. Hier wäre mit etwas Mühe sicher ein nachhaltiger Weg möglich.
Wenn man nicht aufpasst bekommt man Blei aber eher aus nicht-fairen Quellen. Bei der Förderung von Primärblei ist mal wieder China führend, wie so oft verbunden mit Umweltschäden. Zum anderen kann Recycling auch in Ländern mit wenig Kontrolle stattfinden. Schockierend sind z.B. die Berichte aus Nigeria über Schwermetallvergiftungen bei Kindern. Es gibt allerdings Projekte zur Verbesserung der Situation, z.B. vom Öko-Institut. Hier könnte man durch gezieltes Einkaufen sogar etwas bewegen.
Die Lieferkette ist also nicht unproblematisch, durch das von uns sowieso gewünschte Recycling aber beherrschbar.
Zukunftsorientierung
Bleihaltiges Lot wird zunehmend bei Distributoren ausgelistet. Da wollten wir doch lieber etwas mit Bestand entwickeln.
Leider höherer Preis
Leider ist Sn99.3Cu0.7-iges Lot meist teurer als vergleichbare Sn60Pb40-Varianten, zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Textes z.B. bei Lot von Multicore/Loctite beim Distributor Farnell. (Wegen der oben erwähnten Auslistung steigen aktuell die Preise verbleiten Lots allerdings.) Immerhin ist das faire HS10 nicht teurer als das konventionelle HS10. Andere bleifreie Varianten, typischerweise Sn95Ag4Cu1, sind wegen des Silbers noch deutlich teurer. Am Ende aber macht das Lot auch nicht den Löwenanteil eines Elektronikprojekts aus.
Allerdings nachteilige Ökobilanz
Zum Zeitpunkt der Einführung der RoHS gab es einige Öko-Bilanzierungen. Otmar Deubzer („Ecological Consequences of the Ban of Lead in Electronics“ im Untertitel)
zum Beispiel hat in der Gegenüberstellung zwar natürlich die deutlich geringere Toxizität des bleifreien Lots herausstellen können, ansonsten schneidet Bleifreies dort schlechter ab.
Durch die höhere Temperatur beim Löten ist insbesondere die CO2-Bilanz schlechter, wenn man keinen regenerativen Strom einsetzt. Im industriellen Einsatz ist das vielleicht bedeutsam, beim privaten Löten allerdings ist der Unterschied zu vernachlässigen, da der Lötkolben nur an einer sehr kleinen Stelle eine hohe Temperatur erzeugt. Der Energieverbrauch bei der Beheizung der ganzen Werkstatt oder dem Kühlen des Biers danach ist um ein Vielfaches höher.
So hat wie immer alles mehrere Seiten. Lot ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man abwägen muss: Funktion, Gesundheit, Kosten, Verfügbarkeit, Ökologie und Fairness ziehen leider selten an einem Strang.